PUBLIKATIONEN
Sarah Zagefka
Warum, so könnte man sich fragen, malt jemand heutzutage noch so abbildhaft, detailgetreu, illusionistisch, beinahe fotorealistisch – oder so „manisch“, wie Sarah Zagefka selbst sagt. Wo man doch im Zeitalter einer technischen Reproduzierbarkeit, von der Walter Benjamin noch nicht einmal die leiseste Ahnung hatte, solche Bilder fotografieren und mit allen erdenklichen Tricks herbeimanipulieren könnte?
Walter Benjamin stellt in seinem berühmten Aufsatz von 1935 die Reproduktion dem originalen Kunstwerk gegenüber und sieht dessen „Echtheit“ in seiner Einmaligkeit, aber auch im „Hier und Jetzt des Kunstwerks“. Das Kunstwerk trage im Unterschied zur Reproduktion die Geschichte seiner Entstehung in sich, es sei orts- und zeitgebunden, es sei seine Echtheit, die sich nicht reproduzieren lasse. Kurz: „Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“
Die Malerei, seit der Erfindung der Fotografie immer wieder totgesagt und doch immer wieder auferstanden, behauptet sich auch – und gerade – zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Inmitten einer Welt, die täglich unüberschaubarer wird und deren reproduzierbare Bilderflut täglich größer wird, sehnt sich der Mensch immer mehr nach dem „Echten“. Auch wenn die Malerei heute nicht mehr existieren kann, ohne sich ständig in Beziehung zu anderen bildproduzierenden Medien zu setzen, so hebt sie sich doch, genau wie von Walter Benjamin vorausgesehen, nach wie vor in einem wesentlichen Punkt ab: Malerei bleibt immer ein Original, sie ist immer echt. Der amerikanische Künstler Peter Halley ist sogar der Meinung, dass die Malerei auch im 21. Jahrhundert überlebt hat, weil sie ein Medium ist, das sowohl den Teil unseres Gehirns anspricht, der Bilder wahrnimmt, als auch denjenigen, der ihre Textur und Taktilität erfasst.
In einer Zeit, in der man Bildern nicht mehr glauben kann, hat also die Malerei ihre Bestimmung darin gefunden, die Brüchigkeit zwischen Imago und Realität, zwischen Illusion und Wirklichkeit, zu visualisieren. Sie schafft Bilder, die durch ihre malerische Ausführung der Realität enthoben sind und zugleich durch ihre Nähe zum fotografischen Abbild von der Imagination auf die Realität verweisen. Die Malerei ist aber auch ein Widerstand gegen eine Kultur der dematerialisierten und beliebigen Bilder.
Die Bilder von Sarah Zagefka sind zwar scheinbar „realistisch“ wie Fotografien, sie sind aber keineswegs als bloße Abbilder zu verstehen, sondern als subjektive Wahrnehmung von Wirklichkeit. Und dabei ist es eigentlich gleichgültig, ob uns die Malerin einen Blick in ein privates Zimmer, auf den „Hausaltar“ aus Fernseher, Stereoanlage und Videosammlung gestattet, oder auf das für jedermann sichtbare, vollgestellte und ein wenig hilflos dekorierte Fenster eines kleinen Ladens.
Bei der Serie „Zimmer“ handelt es sich um Stilleben und Interieurs, menschenlose Ansichten von Wohn- oder Arbeitsräumen, die mit akribischer Detailgenauigkeit und extrem zeitaufwändig entweder direkt vor Ort oder – in jüngerer Zeit – auch nach fotografischen Vorlagen entstehen. Sarah Zagefka malte zunächst die Wohnräume, später auch die Arbeitsräume von Freunden und Bekannten. Sie interessiert sich dabei nicht für inszenierte oder bewusst eingerichtete Räume, sondern für benutzte, sozusagen „wilde“ Räume. Nach ihrem Umzug von Bremen nach München – und dem dadurch zunächst beschränkten Zugang zu Räumen aus dem Freundeskreis – hat sie begonnen, nicht nur private Innenräume zu malen, sondern auch Ansichten von Schaufenstern, Hauseingängen und kleinen Gaststätten. Sie sind in der Serie „Straßen“ zusammengefasst. Neben den großen Gemälden, die in Öl auf Leinwand entstehen, gibt es auch sehr kleine auf Holzplatten. Je kleiner das Format, umso bedeutender wird jedes winzige Detail.
Sarah Zagefka entführt mit ihren Bildern den Betrachter in ein spannendes Grenzland zwischen dem vermeintlichen Erkennen der Realität und dem Wissen um die Fiktion des Dargestellten. Sie malt aber nur vordergründig Interieurs und Straßenansichten, tatsächlich interessiert sie sich für das Wesen der Dinge, für ihre Beschaffenheit und Struktur, vor allem aber für die Menschen, die diese Dinge benutzen, für ihre Vorlieben und Gewohnheiten, für die Spuren, die sie in den Räumen hinterlassen haben. Sie sagt: „Ich male die Dinge, die ich sehen will, um mir ihre Geschichte zu erzählen und die Welt zu verstehen. Ich interessiere mich für die Menschen, wie sie sind und was sie machen.“ Sarah Zagefka malt also Portraits von Menschen, ohne die Menschen selbst zu malen. Das macht das „Hier und Jetzt“ ihrer Bilder aus. Ihre Aura, wenn man so will.
Katja Sebald
Anna Jander
„Sie befinden sich hier“
Sarah Zagefka im Kunstverein Celle
Sarah Zagefka malt Bilder, menschenleer, doch die Umgebung der Menschen nah an die Betrachter*in herantragend. Man hat das Gefühl, geradezu in ihre Leben einzutreten, als erschienen die Menschen im nächsten Augenblick auf der Bildfläche. Viele Bilder wirken wie Filmsets oder Bühnen.
Ihr Realismus befasst sich ausschließlich mit der Umgebung der Menschen und zeichnet ihr Milieu mit all seinen Eigenarten nach. Sarah Zagefka widmet sich ganz und gar ihren Motiven und taucht während des langwierigen Malprozesses in diese Welt ein. Für sie ist Malerei der direkte Weg, sich auszudrücken. Sie sagt: „Meine Motive finde ich ohne nach ihnen zu suchen. Das passiert wenn ich etwas sehe, was immer spannender wird, je länger ich es betrachte. Dinge die auf den ersten Blick spektakulär sind inspirieren mich meistens nicht.“
Sie wird Eins mit ihrer Welt, das ist der geistige Schritt, den sie vollzieht und der die ganze Intensität und Wahrheit dieser Malerei ausmacht. Es geht um eine Wahrheitssuche und es geht um Erkenntnisgewinn durch das vollkommene sich Einlassen.
Wie bei einem Gang in‘s Innere durchlaufen die Betrachter*innen Straßen mit erleuchteten Kneipen, Imbissen, Geschäften und Auslagen, gelangen in Räume, stoßen dort auf kleine Details.
Eine realistische-, so wie Zagefka es ausdrückt, „subjektiv realistische Malerei“ prägt die intime Atmosphäre der oftmals kleinen Formate. Zagefkas Antrieb, ein Motiv für Malerei zu wählen, ist die „besondere Schönheit“ und somit die Intensität des Ortes.
Die Malerin fühlt sich von ihren Motiven stark angezogen und verspürt das unbedingte Bedürfnis diese in Malerei umzusetzen. Wie transformiert sie die empfundene Intensität eines Ortes auf ihre Bilder?
Zagefkas Malerei ist in ihrer Vielschichtigkeit sehr verdichtet angelegt und scheint aus sich selbst heraus zu leuchten. Und obwohl die Malerei detailliert ist behält sie doch einen offenen Charakter, denn bei genauer Betrachtung scheinen die Ränder aufgelöst. Für die richtige Fokussierung erzwingt das kleine Bildformat ein Herantreten und damit Eintreten in diese virtuelle Welt, was gleichzeitig ein zumindest geistiges Austreten aus der realen Welt bedeutet. Ein bisschen fühlt es sich an wie vor einem Diorama, als hätten wir es mit einer existierenden Parallelwelt zu tun. Für diesen magischen Schritt benötigen wir keine Animation, keinen Sound, keine Story, nur die Räume, die Zagefka uns öffnet.
Was ist die Wahrheit? Nach Hegel ist die Welt Geist. Alles ist im Dreiklang strukturiert, Same, Blüte, Frucht. Werden,Vergehen und Sein (bzw Nichts) kennzeichnen als Ganzes unsere Wirklichkeit.
Leben und Schaffen sind für Sarah Zagefka untrennbar mit einander verwoben. Ihre Bildwelten fordern auf, uns einer intensiven Betrachtung im Dreiklang von Beobachten, Wahrnehmen und Erkennen hinzugeben.
Es geht nicht um das Festhalten und Reproduzieren aller Details, die das Erkennen und damit die Identifikation mit etwas evozieren, sondern es geht um den visuellen Duktus der das Bekannte verdichtet und auf das Wesen der Dinge reduziert.
Sie befinden sich hier
In Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Celle
Auflage 300
33 Farbabbildungen
Charakter-Studien
Straßen und Räume in der Malerei Sarah Zagefkas
Geöffnet – kündet die Leuchtreklame am Fisch-Grill-Haus Orkinus (BL.43-1, 2012, Öl auf Holz 36x29cm, Abb.). Obwohl es schon spät zu sein scheint, ist die Auslage reich gefüllt mit Delikatessen aus dem Meer. Wie in Edward Hoppers Nighthawks[1] wirkt es, als wäre man gefasst auf späte Besucher.
Sarah Zagefka findet solche Orte und weiß sie zu malen. Sie schafft Werke, die über das bloße Ab-Bild hinausgehen, und wählt ihre Sujets im urbanen und privaten Raum. Immer hat es den Anschein, als hätten die Menschen gerade erst die Szenerie verlassen und trotzdem künden akribische Details von ihren Vorlieben und Gewohnheiten. Sie fertigt menschenlose Stillleben in Öl auf Leinwand oder Holz, die in bis zu drei Malschichten aufgebaut sind. Die Abbildungen sind detailgetreu, es ist ein genaues Nachempfinden von Struktur und Beschaffenheit der Dinge. Die Malerin selbst spricht von „subjektiv wahrgenommener Realität.“ Sichtbar ist ihr Interesse an Oberflächen, aber auch an der Atmosphäre und Stimmung eines Ortes. Neben den Bildern aus ihrer Erinnerung arbeitet Sarah Zagefka mit fotografischen Vorlagen. Ihr Ziel ist jedoch nicht die Verwechslung mit Fotografie, im Sinne eines Hyper- oder Fotorealismus, sondern die malerische Geste soll sichtbar und determinierend für das Werk sein. Die Fotos sind eher Gedächtnisstütze als Vorlage, von denen es nie nur eine, sondern immer mehrere gibt. Die Arbeit mit Fotos erlaubt nun die vollkommene Konzentration auf die malerischen Herausforderungen. Das Interesse endet jedoch nicht an der Maloberfläche. Z.B. in der Wiedergabe von Wohnsituationen malt Sarah Zagefka eigentlich Porträts. Das Interesse an Menschen erstreckt sich nicht auf deren Abbild, sondern auf die Spuren, welche sie hinterlassen. Diese erzählen etwas über Gewohnheiten, Hobbys und Persönlichkeit. Der Blick ins Innere (eines Raumes) verrät Dinge, die eigentlich gar nicht sichtbar sind. Zeig mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist! Das kleine Zimmer GO.47-10 (2013, Öl auf Holz 21x28cm, Abb.) zeigt räumliche Enge: Ein Multifunktionsraum erfüllt die Aufgaben von Küche, Bad und Wohnzimmer. Jeder Quadratzentimeter ist sinnvoll ausgenutzt. Macht aber nichts, die Zeit ist jetzt, man arrangiert sich. Ein menschliches Leben definiert sich aus der Umgebung heraus und der Betrachter wird eingeladen, dem malerischen Blick zu folgen und eigene Assoziationen mit einzubringen. Mehr als gewohnt wird der Betrachter hier zum Beobachter von etwas Privatem.
Die Gemälde entstehen in einem langen Prozess mit intensivem Zeitaufwand. Vor der Arbeit mit Fotografien malte Sarah Zagefka „und blieb, bis das Bild fertig war, zwischen 10 und 30 Stunden.“ Der Schaffensprozess gehört elementar zum Werk. Im Malen vor Ort und nach der Realität bemüht die Künstlerin den Topos der Impressionisten. In den kleinen Formaten erhalten Details höchste Wichtigkeit. Im Atelierinterieur (BM.8-3, 2011, Öl auf Holz 36x26cm, Abb.) scheint nichts unnötig zu sein. Alles ist genau an seinem Platz. In dieser Komposition aus Form und Farbe würde es nicht überraschen, wenn der leicht abgerückte Schreibtischstuhl genau nach den Vorgaben des Goldenen Schnitts positioniert ist. Der Titel nimmt stets die Form eines Autokennzeichens an.[2] Wie eine Koordinate, die das Werk unverwechselbar festlegt, uns aber doch nichts verrät. Die ehemalige Meisterschülerin von Karin Kneffel an der Akademie der Bildenden Künste in München gibt mit der Benennung keine Richtung vor, sentimentalisiert das Persönliche nicht.
Die Veränderung von Umgebung interessiert Sarah Zagefka. Sie greift Motive mehrfach auf. Die Ansicht von KS.8-3 (2011, Öl auf Holz, 38x27cm, Abb.) aus dem Monat März unterscheidet sich durch die Lichtverhältnisse überraschend von einer weiteren aus dem Sommer (KS.8-6, 2011, Öl auf Holz, 30x39cm Abb.).[3] Das Fenster als Bild im Bild intendiert ein Spiel mit Innen und Außen. Es erinnert auch daran, dass wir als Betrachter draußen sind, nicht mit hinein dürfen. Solche Bilder wie das von der gemütlichen Kneipe sind nicht zwingend örtlich terminiert.[4] Es gibt sie in jeder Stadt, die netten alteingesessenen Läden, nicht direkt im Zentrum und oft übersehen. Es sind Bilder, welche wir alle im Kopf haben, wenn wir z.B. auf dem Weg zur Arbeit jeden Tag an demselben Geschäft vorbeikommen und es uns, warum auch immer, besonders auffällt und im Gedächtnis bleibt. Sei es, weil es uns so fremd oder vertraut ist, weil wir Positives oder Sentimentales damit verbinden. Oder aus Gründen, die uns selbst gar nicht bewusst sind. Mit einem Hauch von Nostalgie, aber fernab von Kitsch und Klischee schafft Sarah Zagefka neutral sensible Bilder, die auch nach zahlreichem Hinschauen immer wieder Neues entdecken lassen.
Nina Dunkmann M.A.
LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen